Zwischen den Zeiten
„Oh, dieser Mistkerl, ich könnte ihn…”
Erbost starrt Aodhfin auf das Stück Pergament in ihrer Hand. Die auffallend grünen Augen blitzen vor Wut. Erneut liest sie den kurzen Text, bevor sie das Pergament unter gemurmelten Verwünschungen zusammenknüllt. Ihr Körper ist gespannt, ihre Haltung drückt Unwillen aus.
Etwas hilflos steht Tanarr neben ihr, ein unbewegter Ausdruck im Gesicht.
„Aodhfin…“
Seine Stimme ist leise und bestätigt das Gefühl von Gelassenheit und Ruhe, welche man schon auf den ersten Blick wahrzunehmen meint.
„Aodhfin? Würdest Du mir bitte sagen, was los ist? Man könnte meinen, Ariel persönlich hätte Dich beleidigt…“
Die zierliche Klerikerin reagiert auf diese Aussage mit einem verächtlichen Schnauben und als sie zu sprechen beginnt, ist die Stimme noch immer voller mühsam zurückgehaltenem Zorn.
„Ach…wäre es das, ich würde drüber lachen..“
antwortet sie schließlich verächtlich und murmelt erneut eine nicht unbedingt freundliche Beschimpfung
„Liebe Aodhfin, im Gegensatz zu manch anderem aus unserer Gemeinschaft, kann ich leider nicht hellsehen und bin damit auf so traditionelle Hilfsmittel wie eine klare Aussage meines Gesprächspartners angewiesen…ich wäre Dir also recht dankbar, wenn Du mir sagen würdest, was in diesem Pergament steht, dass Dich so wütend macht und wer der Verfasser ist.“
Ein leicht belustigter Ausdruck hat sich auf das Gesicht des Gladiators geschlichen, da er inzwischen, die ein oder andere Beschimpfung mit einem Namen in Verbindung gebracht hat.
„Was glaubst denn Du Tanarr?!“
Aodhfins Blick richtet sich nun auf den Krieger neben ihr. Man merkt, wie sehr sie sich darum bemüht, die Beherrschung zu wahren.
„Dieser arrogante Zauberer hat sich einmal mehr geweigert, meine Fragen zu beantworten. Ingar, diese unglaubliche ichbezogene Kreatur will mir einfach nichts verraten. Und ich habe mir wirklich Mühe gegeben, ihm gegenüber freundlich und respektvoll“ Aodhfin schnaubt kurz
„aufzutreten. Und Du kannst mir glauben, einfach war das gewiss nicht…Und was tut er? Dieser….“
Die Stimme wird bei den letzten Worten wieder lauter bevor sie schließlich verstummt.
Ein Moment vergeht, in dem die beiden sich schweigend gegenüberstehen. Ein leises Seufzen erklingt.
„So werde ich nie weiterkommen…will er das denn nicht verstehen?“ Verzweiflung ist nun in der Stimme zu hören. „Ich verfluche den Tag, an dem die beiden sich begegnet sind...“
Wie es begann
Eineiige Zwillinge so sagt man, haben eine ganz besondere Art von Beziehung zu einander. Fast scheint es, als wäre der eine eigentlich ein Teil des anderen, als wäre die beiden Körper die einzige Trennlinie zwischen den beiden. Im Geiste vereint, ein Leben lang.
Wir brauchen nicht zu sprechen, ein Gedanke reicht, ich vermag zu fühlen, wie es ihm ergeht.
Ich spüre, wenn es ihm an etwas fehlt, ich fühle sein Glück. Ist er erkrankt, so leide ich mit ihm und wenn er frohlockt ist seine Freude zugleich die meine.
Von unserer Geburt an gab es nur ihn und mich. Ungewöhnlich genug in unserer Familie, dass es überhaupt mehr als einen Nachkommen gab, vollbrachten wir beide gleich ein doppeltes „Wunder“:
Zwillinge, eineiig und doch unterschiedlichen Geschlechts.
Unsere Eltern waren zunächst, so wurde es uns zumindest erzählt, nicht allzu angetan von uns beiden. Es lag gewiss nicht an unser finanziellen Lage, als angesehener studierter Bürger Pandaemoniums, als Mitglied des Rates von Asmodae´s, mangelte es unser Familie an nichts, es war eher die Reaktion der Gesellschaft, in der unsere Eltern verkehrten, die für ein gewisses Unwohlsein sorgte; waren Doppelgeburten wie die unsrige eher eine Ausnahme und Seltenheit. Und wenn dies doch einmal geschah, dann waren es meist Kinder gleichen Geschlechtes.
Nicht so wir. Fiolon und Aodhfin. In einer Hinsicht zumindest beugten wir und der traditionellen Vorgaben, mein Bruder ist der Erstgeborene von uns beiden. Eine Tatsache, über die wir so oft gestritten haben, dass ich es nicht mehr zählen kann.
Ich würde viel darum geben, dieses Argument noch einmal aus seinem Mund zu hören.
Im Nachhinein aber denke ich, dass zumindest unsere Mutter froh war, dass wir einander hatten, milderte dies doch ihr schlechtes Gewissen, wenn sie erneut mit ihrem Mann aufgrund gesellschaftlicher Verpflichtungen durch Asmodae reisen musste.
Unsere Kindheit und Jugend verbrachten wir wohl wie die meisten anderen auch, deren Eltern keinerlei Sorgen um den täglichen Bedarf haben. Durch die Tätigkeit unseres Vaters, waren beide viel unterwegs und so wuchsen Fiolon und ich unter den wachsamen Augen unserer Hüter auf.
Heute weiß ich, dass ich mich glücklich schätzen darf, so aufwachsen zu können.
Der Einfluss unseres Vaters sorgte dafür, dass wir die bestmögliche Ausbildung bekamen, im Tempel des Wissens verbrachten wir unzählbare Stunden im Studium. Wo andere sich vielleicht gelangweilt hätten, hatten Fio und ich immer genügend Möglichkeiten, um selbst den trockensten Stoff erträglich zu machen.
Natürlich gab es auch dunkle Momente in dieser Zeit. Die Balaur und die Elyos waren immer allgegenwärtig und wir waren uns der Gefahren durchaus bewusst, und doch haben wir es eher als lästiges Übel denn als wirkliche Gefahr gesehen.
Es war keine allzu große Überraschung als wir im Tempel schließlich zu offiziellen Mitgliedern der Daeva wurden. Es war mehr eine logische Konsequenz und wir stellten uns dieser Verpflichtung mit demselben Ehrgeiz, den wir auch bei unseren Studien schon an den Tag gelegt hatten.
Das Leben war schön, und ich hatte keinen Zweifel daran, dass es immer so weitergehen würde.
Mit einer völlig belanglosen Begegnung schließlich, begann mein Leben nach und nach auseinander zu brechen.
Fiolon lernte den Zauberer Ingar kennen. Ich weiß bis heute nicht, unter welchen Umständen sie sich begegneten, ob es geplant war, ein Zufall oder einfach nur Pech.
Von diesem Moment an veränderte sich Fiolon´s und damit mein Leben.
Gewiss war es auch eine gewisse Art von Eifersucht, die an mir nagte, doch ich konnte Ingar vom ersten Moment an nicht ausstehen. Er war ein arroganter Schnösel, ein Lebemann, dem alles in den Schoss fiel und dies auch nach außen darstellte. Solch ein Verhalten konnte ich nur schwer hinnehmen und das zeigte ich ihm mehr als deutlich…manchmal wohl auch etwas übertrieben in meiner Emotionalität. Seine Reaktion? Er wusste um diese Abneigung, doch meist ignorierte er mich einfach oder behandelte mich nur wie ein Kind. Ingar schloss mich aus, wann immer er eine Möglichkeit dazu sah. So war ich immer öfter alleine im Tempel beim Studium und in der Arena beim Unterricht. Die Einsamkeit brachte mich dazu, mich der anspruchsvollen Ausbildung zur Klerikerin zu stellen.
Doch aus Fiolons Gedanken vermochte er mich nicht auszuschließen. Und so erfuhr ich mehr von jenen Dingen, die mein Bruder erlebte, wenn ich nicht dabei war. Ich hörte von Heredes und meine Angst wuchs mit jedem Treffen, an dem mein Zwillingsbruder teilnahm. Wie oft stritten Fio und ich in dieser Zeit. Doch egal was ich versuchte, es war vergebens. All meine Bitten, mein Flehen, mein Betteln verklangen ungehört, zumindest unbeachtet. Fiolon schloss sich der Heredes an.
Manchmal frage ich mich, ob ich etwas hätte ändern können, wenn ich zu dieser Zeit irgendwann einmal anders gehandelt hätte. Wenn ich mich…doch es ist zwecklos, die Vergangenheit ist, wie sie ist.
Einzig meine „Verbindung“ zu Fiolon vollbrachte, was mir mit allen Sticheleien und bösen Worten nicht gelang. Sie war ein Ärgernis für Ingar, die eine Sache, die sich seiner Kontrolle entzog. Doch änderte das geistige Band nichts daran, dass er sein Ziel am Ende doch erreichte…dass ich ihn schließlich ganz und gar verlor.
Ein lauer Abend in Pandaemonium. Wie ein nerviges Kleinkind, welches am Rockzipfel des Bruders hängt, hatte ich mich den beiden angeschlossen. Voller Unruhe war ich den ganzen Tag gewesen, ein unbestimmbares Gefühl der Angst, nicht mit Worte zu erfassen. Doch brachte mich dieses Unbehagen dazu, mich, im Gegensatz zu den Monaten davor, den beiden anzuschließen. Recht unbegeistert verbrachten sie eine halbe Stunde des sinnlosen Herumflanierens mit mir.
Schließlich standen wir vor der Taverne und Ingar sah mich mit einem Blick an, der mich heute noch vor Wut erzittern lässt. Doch seine Worte, dieses eine Mal, waren es seine Worte, die mich noch viel mehr trafen.
„Küken“ sagte er mit samtener Stimme an diesem Abend als wir vor dem Eingang standen und er mich nicht mit hineingehen lassen wollte, zu mir. „Küken, wie Du eines bist, sollten um diese Zeit lieber artig schlafen und sich nicht an solch Orten aufhalten.“ Und mit einem harten Unterton „Du hast hier nichts zu suchen. Geh nach Hause Aodhfin“…und Fio, mein Bruder, der zustimmend nickte…
An diesem Abend sah ich Fiolon zum letzten Mal.